Marius Müller-Westernhagen

Marius Müller-Westernhagen
Marius Müller-Westernhagen
 
Anfänge: Schauspielerei, Rock und Soul
 
Marius Müller-Westernhagen, einer der Großen im deutschen Showgeschäft, kam am 6. Dezember 1948 in Düsseldorf zur Welt. Bereits 14-jährig ging er - im Wirtschaftswunderdeutschland äußerst unüblich - von der Schule ab, um Schauspieler zu werden, und dies, noch unüblicher, mit der Zustimmung seines Vaters, der selbst in diesem Beruf gearbeitet hatte (er starb 1963). 1964 spielte er in dem Fernsehspiel »Die höhere Schule« eine erste Hauptrolle und nahm dann, dem Druck seiner Mutter nachgebend, auch wirklich Schauspielunterricht (bei Otto Ströhlin in Düsseldorf). Außerdem absolvierte er eine Gesangsausbildung bei Gisela Litz in Hamburg. Auf diese Lehrjahre blickte Müller-Westernhagen später kritisch zurück und behauptete, im Kino, bei den Leuten auf der Straße und bei seinem Vater mehr Nützliches gelernt zu haben als bei seinen Lehrern. Den Blick für die alltäglichen Dinge und die Probleme des »kleinen Mannes« geschärft zu haben, sollte sich im Verlauf seiner nun beginnenden Karriere auszahlen, denn es gelang ihm, sowohl in der Arbeit als Schauspieler lebensnah und natürlich zu wirken als auch als Texter und Sänger realitätsbezogen und menschlich (also auch fehlbar und eigennützig) zu erscheinen.
 
Ab 1971 arbeitete Müller-Westernhagen beständig an Kino- und Fernsehfilmen mit, größtenteils als Darsteller, ab und an auch als Regieassistent oder Aufnahmeleiter. Neben der Schauspielausbildung hatte er sich während der 60er-Jahre auch intensiv um Beat und Rock 'n' Roll gekümmert - an der Musik kam damals kein Jugendlicher vorbei - und bis 1970 bei der Düsseldorfer Gruppe »Harakiri« als Sänger mitgewirkt. Er trat, wie er sagte, als »so eine Art Mick Jagger oder Rod Stewart für Arme« auf, orientierte sich aber außer an den Rolling Stones, den Yardbirds oder The Who vornehmlich an seinem größten Vorbild Steve Marriott, dem schmächtigen Sänger der Gruppe »Faces« mit seiner unglaublich »schwarzen« Stimme. 1972 trat er solo in der Fernsehsendung »Express« auf und trug eine auf Deutschland umgemünzte Fassung von Paul McCartneys politisch hochbrisantem Song »Give Ireland back to the Irish« vor: »Gebt Bayern zurück an die Bayern«. Dies war durchaus auch als Persiflage gemeint, sorgte aber in der Bundesrepublik und ihrem stets eine Sonderrolle einnehmenden »Freistaat« für einige Aufregung (der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß war damals einer der Oppositionsführer gegen die sozialliberale Regierung Brandt, die mit einem Misstrauensantrag zu kämpfen hatte).
 
Nach diesem Achtungserfolg leistete sich Müller-Westernhagen 1974 beinahe so etwas wie einen Ausrutscher, als er für den Film »Supermarkt« - unter dem Pseudonym Marius West - den Schlager »Celebration« sang. Teils autobiografische, ehrliche Texte gepaart mit rockiger Musik waren schon eher sein Ding, und 1975 legte er mit »Das erste Mal« seine erste Solo-LP vor, die er mit Unterstützung der Gruppe »Lucifer's Friends« eingespielt hatte. In einer eigenen Fernsehshow mit dem Titel »Es geht mir wie Dir« stellte er Teile des Albums einem größeren Publikum vor. Seine zweite LP, »Bittersüß«, wirkte 1976 recht überarrangiert und hermetisch, und auch »Ganz allein krieg ich's nicht hin« (1977) kam beim Publikum nicht sonderlich gut an.
 
 Durchbruch: »Pfefferminz« und »Theo«
 
Den Durchbruch schaffte Müller-Westernhagen 1978 mit seinem von Lothar Meid produzierten Album »Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz«. Der Titelsong, eine coole Rhythm-and-Blues-Nummer mit krudem Text (über Alkohol, Liebe, Gott und die Welt), wurde als Single erfolgreich, und die LP verkaufte sich bis heute insgesamt über zwei Millionen Mal (wenngleich es damals nicht für eine Hitparadenplatzierung reichte). Ausschlaggebend dafür war nicht nur die durchgängig hohe (Mitsing-)Qualität der Songs (etwa »Johnny Walker«), sondern auch, dass sich Müller-Westernhagen mit seiner ironischen, an Randy Newmans »Short people« angelehnten Lebensbeschreibung übergewichtiger Menschen den Vorwurf einhandelte, Minderheiten zu verhöhnen und zu stigmatisieren. Er stritt dies ab und behauptete, die Ironie in »Dicke« sei doch unüberhörbar. Erstmals in die LP-Charts stieg Müller-Westernhagen mit »Sekt oder Selters« (1980) ein, und mit »Stinker« (1981) etablierte er sich endgültig als erfolgreicher deutscher Rockpoet. Mitbeteiligt an diesem Umstand war seine schauspielerische Leistung in dem 1979 gedrehten Kinofilm »Theo gegen den Rest der Welt«, einem tragikomischen Roadmovie, wie es im jungen deutschen Filmschaffen heute nicht mehr zu finden ist. Nachdem Müller-Westernhagen bereits 1980 für diese Arbeit den renommierten Ernst-Lubitsch-Preis erhalten hatte, kam der Film 1981 bundesweit in die Kinos und wurde ein Kassenschlager. Drei Millionen Menschen sahen den Streifen und waren von Müller-Westernhagens Kodderschnauze und bodenständigem Charakter beeindruckt. 24 000 davon ließen sich in die Konzerte locken, die Müller-Westernhagen im Rahmen seiner ersten Deutschlandtournee in diesem Jahr absolvierte. Die LP »Stinker« enthielt mit »Von drüben« wieder einen äußerst umstrittenen Song, thematisierte er doch die innerdeutsche Beziehungsproblematik (wie bei »Dicke« aus der Ichperspektive), mit »Hier in der Kneipe fühl ich mich frei«, einem Song, den Müller-Westernhagen für eine »Tatort«-Episode aufgenommen hatte, sprach er hingegen Millionen von Deutschen aus dem Herzen. Eher unspektakulär und stagnierend machte Müller-Westernhagen dann weiter. Weder »Das Herz eines Boxers« (1982), »Geiler is' schon« (1982), »Die Sonne so rot« (1984) noch »Lausige Zeiten« (1986) brachten einen Hit und konnten außerhalb eingefleischter Fankreise begeistern, möglicherweise, weil ein durchgängiges, erkennbares Konzept fehlte und musikalisch mal dies, mal jenes probiert wurde. Die Balladenkompilation »Lass' uns leben« (1985) bildete dahin gehend eine Ausnahme, versammelte sie doch die langsameren und die Liebeslieder des bisherigen Schaffens. In diesen Jahren betätigte sich Müller-Westernhagen ausgiebig als Schauspieler und übernahm Rollen in Filmen wie »Der Mann auf der Mauer« (1982) und »Der Schneemann« (1985). 1986/87 wirkte er an Beat Kuerts Filmprojekt »Deshima« mit, dem eine Vorlage des Schweizer Schriftstellers Adolf Muschg zugrunde lag (durch den Tod des Regisseurs wurde das Projekt vorzeitig abgebrochen).
 
 Triumphe: »Hallelujah« und »Affentheater«
 
1987 war das Jahr der großen Wende in der Karriere des Marius Müller-Westernhagen. Er trennte sich von Lothar Meid, um von nun an die Produzententätigkeit - mit Unterstützung von René Tinner - selbst zu übernehmen, was sich in geradlinigerer Musik und härterem Sound niederschlug. Außerdem strich er seinen Vor- und ersten Nachnamen und präsentierte sich als »Westernhagen« mit gleichnamiger LP in abgespeckter, kompakterer Form. Die Besinnung auf einfachen, professionell vorgetragenen Rhythm and Blues zahlte sich aus, denn die Platte kletterte in der deutschen Hitparade weit nach oben und: Mit dieser neuen Konzeption hatte Westernhagen auch so etwas wie eine »Corporate Identity« geschaffen, etwas Eindeutiges, Wiedererkennbares und Einzuordnendes, das den Umsatz steigern konnte.
 
Die Singleauskopplung »Ganz und gar« (ein Liebeslied, das Anfang der 90er-Jahre von der Elsässerin Patricia Kaas gecovert werden sollte) war sein erster großer Hit seit vielen Jahren, und die begleitende Tournee war so umjubelt wie gut besucht. Angesichts dieses Triumphs wäre Westernhagen schlecht beraten gewesen, weiter zu experimentieren, und er setzte verstärkt auf die entwickelte Strategie. »Hallelujah« (1989) brachte erstmalig eine Nummer-1-Platzierung, und die Singleauskopplung »Sexy« lief rund um die Uhr im Radio, was zur Folge hatte, dass die Konzerte, die Westernhagen im Verlauf weniger Monate in 28 Städten gab, von 500 000 begeisterten Fans besucht und gefeiert wurden. Der Mitschnitt eines dieser Konzerte (in der Dortmunder Westfalenhalle vor 20 000 Menschen) wurde im Jahr darauf als Doppel-LP veröffentlicht. Das mit »Live« betitelte Album verschaffte nun all denen, die den spargeldürren, charismatischen Rock-Entertainer »Marius« (so sein Kosename im Volk) bislang nicht auf der Bühne erleben konnten, die Möglichkeit, das Versäumte zumindest ansatzweise nachzuholen. Die Platte schoss an die Spitze der deutschen Charts, und auch die als Single ausgekoppelte Mitsinghymne »Freiheit« war sehr erfolgreich.
 
Westernhagen hatte 1988 die Amerikanerin Romney Williams geheiratet und kümmerte sich nun allem Anschein nach mehr um sein Privatleben als um neue Aufnahmen. Erst 1991 beglückte (und beschwichtigte) er seine ungeduldig wartenden Fans mit »Ja Ja«, einer 500 000-mal vorbestellten Nummer-1-LP, aus der die drei Erfolgssingles »Krieg«, »Rosie (Männer sind so schwachund »Steh' auf« ausgekoppelt wurden. War aus dem einstigen Rockpoeten und Rebellen mittlerweile ein megaerfolgreicher deutscher Superstar in Designerklamotten geworden, machten Kritiker ihm zunehmend Selbstplagiat, Eklektizismus (das heißt eigentlich Ideendiebstahl), Sinnentleerung (die vormalig im Munde geführte Sprache des »Mannes von der Straße« sei zur Sprachlosigkeit desselben verkommen) und Anbiederung an den Mainstream zum Vorwurf, was den etablierten, medienscheuen Geschäftsmann und Künstler einigermaßen unberührt ließ. Kaltschnäuzig verkündete er mit seiner nächsten Single »Es geht mir gut« und zeigte ironisch (oder unabsichtlich?) einen Anflug von Größenwahn, indem er für die Musik zu dem Song unverhohlen auf David Bowies Meisterwerk »Heroes« (»Helden«) zurückgriff. Immerhin kommentierte er den Trubel und die »ästhetischen« Diskussionen mit seinem dazugehörigen nächsten Album, dem er den Titel »Affentheater« (1994) gab und das sich nach Erscheinen 700 000-mal verkaufte. Die das Album ausgedehnt und groß angelegt begleitende »Affentour«, deren Werbeplakate Westernhagen 1995 in Schauspielerpose präsentierten, geriet zu einem weiteren Triumphzug und wurde filmisch wie plattentechnisch dokumentiert.
 
Der Konzertfilm »Keine Zeit« kam 1996 in die Kinos und erwies sich als Flop, auch die gleichnamige Doppel-CD verkaufte sich für Marius' Verhältnisse nur mittelmäßig. Als Reaktion darauf, auf sein fortgeschrittenes Alter (er wurde 50) und den Umstand, dass er des Superstarrummels zunehmend überdrüssig war, legte er 1998 mit »Radio Maria« ein schwierigeres Album vor, in dessen Mittelpunkt nun die Musik gerückt war. Eine begleitende Tournee sollte, wie Westernhagen ankündigte, die letzte sein. 1999 wurde er mit dem »Echo«, dem Preis der deutschen Schallplattenindustrie, als »erfolgreichster nationaler Künstler« ausgezeichnet - angesichts einer über 25-jährigen Karriere und insgesamt mehr als zwölf Millionen verkaufter Tonträger eine durchaus angemessene Ehrung. Eine Rückschau auf diese Karriere bot auch der 2000 erschienene Sampler »So weit. ..«. Im Jahr 2001 folgte eine weitere ehrenvolle Würdigung des Sängers und der Person Marius Müller-Westernhagen: Für seinen Einsatz gegen Rassismus und für die Integration der Jugend wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.

Universal-Lexikon. 2012.

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